(1) Das Pulver

Morwa stand inmitten seiner Streiter, der Ausdruck auf seinem Gesicht unter dem kurz geschnittenen grauen Bart nicht zu deuten, seine Haltung aufrecht und voller Kraft. Er allein wusste von dem Schmerz in seiner Brust, der ihn seit Beginn des Feldzugs zuweilen anflog, immer häufiger, seitdem das Jahr sich neigte. Ein Schmerz, der die endlosen Stunden im Sattel zur Qual machte. Und doch war ihm bewusst, mit welchen Augen man jeden Schritt des größten Kriegsherrn beobachtete, den der Norden seit Ottas Zeiten gekannt hatte. Er hatte es nicht wagen können, seinen Heilkundigen von seinem Leiden zu berichten. Er hatte warten müssen, bis sich der Feind mit Beginn des Herbstes aus seiner größten Feste zurückgezogen hatte und den Bewohnern nichts anderes geblieben war, als auf Gnade oder Ungnade ihre Tore zu öffnen.

Sein erster Weg hatte ihn in die Gasse der Heiler geführt. Die Stunden nach Einnahme einer feindlichen Stadt standen den Kriegern zur Plünderung frei. Brand an die Häuser zu legen war ihnen untersagt. Das Leben aber, die bewegliche Habe und die Frauen der Unterlegenen waren unter ihre Schwerter gegeben. Es waren die einzigen Stunden, in denen niemand darauf achten würde, wohin Mordas Sohn seine Schritte lenkte.

Er hatte das stattlichste unter den Häusern auf der Gasse ausgewählt und sich mit gezogener Waffe Zutritt verschafft. Den ehernen Reif um seinen Helm, Zeichen seiner Würde, hatte er in einem dunklen Winkel abgelegt. Als namenloser Krieger musste er einem jeden erscheinen, der den neuen Herrn des Nordens nicht von Angesicht zu Angesicht kannte. Der Heilkundige, ein fetter kleiner Mann, hatte sich bis in den hintersten Winkel seiner Stube zurückgezogen, doch unbeirrt war Morwa ihm gefolgt, hatte die Spitze seiner Klinge an dessen Kehle gesetzt und ihm mit bedächtigen Worten die Natur seiner Schmerzen geschildert. Zitternd hatte der Mann seinen Worten gelauscht und schließlich mit kaum hörbarer Stimme versichert, dass er ein Pulver kenne, das jene Schmerzen zu lindern vermöge. Zu lindern. Zur Heilung dieses Gebrechens habe die Göttin der Wälder kein Kraut bereitgestellt, doch er könne dem Recken sein Wort geben …

An dieser Stelle hatte Morwa den Druck der Klinge verstärkt. Keinen Lidschlag lang hatte er den Mann aus den Augen gelassen, während dieser sich an seinen Schränken zu schaffen machte, bis er das gesuchte Pulver gefunden hatte. Schon hatte der Hetmann seine Finger ausgestreckt, sich im nächsten Moment aber eines Besseren besonnen. Mit ruhiger Stimme hatte er den Heilkundigen aufgefordert, zunächst selbst eine Fingerspitze der Droge zu sich zu nehmen. Für einen Augenblick nur hatte der Heiler ihn voll Verwirrung angesehen, um dann ohne zu zögern den Finger zunächst in den Beutel mit dem Pulver und dann zwischen die Lippen zu führen. Der Beweis, den Morwa gebraucht hatte. Die Klinge hatte zugestoßen; der Mann hatte nicht lange leiden müssen. Als der Hetmann die Stube verlassen hatte, war aus dem rückwärtigen Teil des Hauses Weinen und Klagen zu hören gewesen, doch er war nicht noch einmal umgekehrt. Frau und Kinder des Toten konnten ihn nur schemenhaft gesehen haben, und er war ein Mann der Stämme. Er würde tun, wozu die Umstände ihn zwangen, doch er war keine Bestie. Der Heiler indessen hätte ihn zu einem späteren Zeitpunkt wiedererkennen können. Er hatte nicht leben dürfen.